von Julia Dina Heße // Dramaturgin//Regisseurin
“Im Kern handelt es sich bei der Idee Nachhaltiger Entwicklung um ein kulturelles Projekt.”[1]
Nachhaltigkeit als „kultureller Prozess“ verstanden bedeutet, dass nachhaltiges Handeln kein Einzelprojekt ist, kein Thema, dem man sich in einem Stück oder einer Spielzeit widmet und es dann „abhakt“. Als Change-Agent für eine nachhaltige Gesellschaft zielt Theater dabei auf eine spielerische und künstlerische Verknüpfung von Wissen, Fühlen und Handeln.
Immer mehr Produktionen im deutschen Theater für junges Publikum machen ökologische Fragen oder Ziele von nachhaltiger Entwicklung zum Thema oder Ausgangspunkt, darunter um nur drei Beispiele zu nennen: “Trashedy” (2011) von performing:group, “Fish Forward” (2022) des Jungen Staatstheater Mainz und “Himmel, Erde, Luft und Meer” (2021) vom Grips Theater Berlin. Auch beschäftigen sich viele partizipative Projekte mit Protestbewegungen wie Fridays for Future oder der Imagination von Zukunftsutopien wie “We for Future” (2020) vom Theater an der Parkaue Berlin oder “Teenage Widerstand” (2019) vom Theater der Jungen Welt Leipzig.
Gemeinsam ist vielen Aufführungen der suchende Gestus bzw. Geist und die Infragestellung der Wachstumsideologie von schneller, größer, weiter. In allen Stücken ist „business as usual“ keine Option und ökologische Nachhaltigkeit wird als Voraussetzung für den notwendigen Wandel verstanden. Sie ist untrennbar mit der entscheidenden Frage verbunden: In was für einer Welt wollen wir in Zukunft leben?
“Die Stücke, die sich so an der Nachhaltigkeit bzw. Zukunftsfähigkeit orientieren, fokussieren auf andere Werte und neue Formen des Zusammenlebens in möglichen Szenarien wünschenswerter Welten. Im Zentrum steht dabei die Frage nach Solidarität, gefolgt von der Frage, wessen Geschichte auf der Bühne erzählt wird und welche Narrative und Darstellungen es in Zukunft geben könnte, wenn auch die nicht-menschliche oder über-menschliche Perspektive auf die Bühne gebracht werden soll, wie dies in der Schweiz zum Beispiel von Shanjulab mit Produktionen wie “Perspectives / Un ensemble animale” bereits praktiziert wird.
Die Frage nach einem anderen Leben in einer anderen Realität auf der Bühne führt für die Theatermachenden auch zu der Frage: Wie wollen wir arbeiten, wie wollen wir für und hinter der Bühne produzieren?
“Geschichten zu erfinden, in denen Gesellschaft, Produktionsverhältnisse und der Umgang mit Ressourcen anders befragt und gedacht werden, kann Aufgabe von Theater sein. In diese Fall ginge es im Theater nicht darum, ein Stück über den Plan B zu entwickeln, sondern vielmehr darum, viele verschiedene Geschichten von Gegenbewegungen auf die Bühne zu bringen. Versuche und auch ihr Scheitern. […] Für Macher und Autoren kann das auch heißen, sich grundsätzlich darüber zu verständigen, dass Geschichten im Theater es nicht am Ende besser wissen müssen.“[2]
Immer mehr Künstler*innen wollen ihre Produktionsgewohnheiten an die Forderungen in ihren Stücken und ihres Publikums anpassen und im Einklang mit diesen Vorstellungen arbeiten. So verändert Nachhaltigkeit nicht nur Inhalt und Erzählweise, sondern auch die Ästhetik der Produktionen, wie zum Beispiel die Arbeit der australischen „Eco-Scenographer” Tanja Beer zeigt.
Institutionen wie die Kulturstiftung des Bundes in Deutschland, die als Pilotprojekt mit 11 Kultureinrichtungen eine CO2-Bilanz erstellt hat oder das 2020 gegründete Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit, das als Plattform in Zusammenarbeit mit Experten aus Wirtschaft, Transformationsforschung und Kultur ökologisches Wissen generiert, sammelt, vernetzt und verbreitet, bemühen sich um Antworten auf die Frage nach einer nachhaltigen Produktion sowohl hinter der Bühne als auch im gesamten Theatergebäude und allen seinen Abteilungen.
Ob auf oder hinter der Bühne, das Theater kann viel zu einem gesellschaftlichen Wertewandel im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung beitragen und ist größtenteils dazu bereit oder bereits auf dem Weg dorthin. Was bisher allerdings oft fehlt, sind entsprechende Maßnahmen und die Unterstützung durch die Kulturpolitik, die zwar Erwartungen formuliert, aber noch zu wenig getan hat, um eine andere Art der Produktion auf und um die Bühne zu ermöglichen. Eine Produktion, die sich der kapitalistischen Wachstumslogik verweigert und stattdessen auf Reduktion und langfristige Prozesse setzt, für die es derzeit kaum Finanzierung und wenig Verständnis gibt.
Julia Dina Heße ist Vizepräsidentin der Assitej Deutschland und Mitglied des Executive Committees der Assitej International. In ihrer Doktorarbeit im internationalen Promotionskolleg „Kulturvermittlung / Médiation Culturelle de l’Art“ der Université Aix-Marseille und der Universität Hildesheim beschäftigt sie sich mit den Wechselwirkungen zwischen Theater für junges Publikum und Nachhaltiger Entwicklung.
[1] Schneidewind, Uwe: Die Große Transformation, Frankfurt a.M. 2018, pp. 21 and 23
[2] Hoch, Nora: sie werden geschrieben haben. In: Fischer-Fels/Hess/Adler (Hg.): Ab morgen…! Berlin 2016, p. 39